Im Jahr 1907 schuf die Schwedin Hilma af Klint das erste große abstrakte Bild der Kunstgeschichte.

Hilma

Im Jahr 1894 veröffentlichte Heinrich Hertz seine Prinzipien der Mechanik. Dort steht der Satz

“Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole der äußeren Gegenstände”.

Das hätte Hilma voll unterschrieben. Weil sie in ihrem Bild Gegenstände abgebildet hat, “äußere Gegenstände”. Weil der Titel des Werks folgendermassen lautet: “Die zehn Größten, Nr. 2, Kindheit”. Weil die beiden unteren Kreise “Symbole” von etwas echtem sind. Symbole für die Eltern einer Familie, die sich küssen.

“Symbole der äußeren Gegenstände”, Hilma und Hertz gehen also bisher gleich.

Er fährt nun fort in seinem Buch und stellt fest, dass die “denknotwendigen Folgen” der gemalten Symbole wieder Bilder sind. Er hat grundsätzlich recht, aber bei “denknotwendig” fängt’s an zu bröckeln. Natürlich sind die Eltern, die aus den Kreisen folgen (die Eltern, die ich mir vorstelle), wieder ein Bild. Ein Kopfbild. Die Barbapapas. Kann sich sonst noch wer an die Barbapapas erinnern?

Aber sind die Barbapapas, die aus Hilmas Kreisen folgen, “denknotwendig”?

Der endgültige Bruch aber zwischen Hilma und Hertz ist seine nächste Forderung: die “denknotwendigen” Kopfbilder seien auch gleichzeitig die “naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände”.

Das geht nicht. Eine “naturnotwendige Folge” von natürlichen Eltern ist, dass sie Beine haben. Aber Barbapapas, die “denknotwendigen Folgen”, haben keine Beine.

Hier sehen wir den Unterschied zwischen Graphik und Gemälde. Hilma af Klint hat ein abstraktes Bild, man könnte hier besser sagen, eine Graphik, gezeichnet. Hertz will Gemälde von realistischen Malern, so wie Newton einer war.

Das Bild der Newton’schon Physik war für Hertz halbwegs ok. Kugeln die über Spiralfedern oder Gummibänder miteinander verbunden sind. Nur kam er drauf, dass das mit den Gummibändern nicht ganz passt, wenn man sich’s genau durchüberlegt. Sie bringen “das klare Denken unzweifelhaft in Verlegenheit”.

Das hatten andere vor ihm auch schon bemerkt. Die Antwort war das Prinzip der kleinsten Wirkung. Die Kugeln bewegen sich so, dass über ihren Weg der Austausch zwischen Bewegungsenergie und Lageenergie minimal ist. So ein ökonomisches Energiesparprinzip wäre zwar klar durchdacht, gäbe aber kein deutliches Bild ab. Deswegen hat Hertz (nach langer Beschäftigung) das ad Acta gelegt.

Hertz schlägt starre Verbindungen zwischen den Kugeln vor. Und damit das klappt lässt er Kugeln zu, die sich im Verborgenen bewegen. Verborgene Nebenbeziehungen seien unvermeidbar und bei “weiser Besonnenheit in ihrem Gebrauch” täten sie der Deutlichkeit eines Bildes auch keinerlei Abbruch. Im Übrigen wäre die noch dazu undeutliche Einführung der potentiellen Energie (Lageenergie) ja auch nix anderes gewesen.

Seine starren Verbindungen stellen sicher dass keine sprunghaften Verhältnisse auftreten, denn “dass die Natur im Unendlichkleinen überall und in jedem Sinne Stetigkeit aufweise, [ist] eine Erfahrung, die sich in dem alten Satze,,natura non facit saltus”, zu fester Überzeugung verdichtet hat.” Es stört ihn nicht, “dass die fraglichen Verbindungen in der Natur nur angenähert verwirklicht sind”. Ganz im Gegenteil, man muss von jedem System nur verlangen, “dass es angewandt auf angenäherte Verhältnisse immer noch angenähert richtige Resultate gebe, nicht aber gänzlich falsche.”

Am Ende muss die Rechnung halt aufgehen. Die gemessene Umlaufzeit des Mars muss nahe der errechneten Zahl der Sekunden sein. Dasselbe gilt z.B in der Alpakazucht für die Laufmeter Tweed. Die “denknotwendigen Folgen” müssen gleich den “naturnotwendigen Folgen” sein, dann ist das Bild auch richtig.

Ich fasse Hertz wie folgt zusammen: wenn ein Bild “klar” ist, dann findet unsere Hirnstruktur keinen Widerspruch, wenn etwas “richtig” ist dann entspricht es der Erfahrung, aber ob’s “deutlich” ist kann zur Geschmacksfrage werden.

Hertz’ Darstellung ist ein Meisterwerk das sich als solches nie durchgesetzt hat. Was er aber im Vorwort schreibt ist, dass seine Darstellung “ein helles Licht auf die von HAMILTON erfundene Behandlungsweise mechanischer Probleme mit Hilfe charakteristischer Funktionen wirft.”

Er wirft sein Licht auf jene rein geometrische Behandlung der Physik, die damals bekannt aber gar nicht in Mode war, wegen der Energieökonomie. Dreissig Jahre später wurde aber genau aus dieser Geometrie der goldene Weg zur Wellenmechanik des Atoms.

Schrödinger hatte seinen Hertz sehr genau gelesen: denn die Unbestimmtheit seines eigenen Wellenbildes hindere uns “in so naiver Weise ein ,,verwaschenes Modell” als Abbild der Wirklichkeit gelten zu lassen. An sich enthielte es nichts Unklares oder Widerspruchsvolles. Es ist ein Unterschied zwischen einer verwackelten oder unscharf eingestellten Photographie und einer Aufnahme von Wolken und Nebelschwaden”. Klar durchdacht (und empirisch richtig sowieso) sei sein Bild, aber eben undeutlich. Zur Zeit dieses Verdikts wäre Hertz 78 gewesen, aber weil er gleich nach Abfassung seiner Abhandlung gestorben ist, fehlt uns die Beurteilung seines Erbes jetzt bitterlich.

Er hielt noch fest, dass seine Mechanik bewusst so starr gewählt wurde, dass sie niemals das Leben selbst erklären wird können. Ganz Kantianer wollte er Geist, Seele, Freiheit und Leben weiterhin dem Bereich des Unbeweisbaren überlassen.

Hier können wir uns wieder an Hilma af Klint wenden, die zwar 40 Jahre nach ihrem Meisterwerk noch lebte, deren Energie aber erst in den 80er Jahren begann der Welt das Prinzip Leben zu zeigen.

barbapapa