Fledermäuse des Lichts
Wir sind Fledermäuse des Lichts.
Stellen wir uns eine Fledermaus vor. Und stellen wir uns eine kleine Lokomotive vor, die in 23km Entfernung mit 100km/h fährt, vielleicht in der sonst stillen Wüste. Der Schall braucht also gut eine Minute vom Zug zur Fledermaus. Ich nehm an, die Fledermaus kann die Position des Zuges ganz gut feststellen, wenn sie vielleicht für ein paar Sekunden ein paar Meter im Kreis fliegt und den Schall analysiert. Aber innerhalb einer Minute, die der Schall ja braucht, ist die Lock schon wieder eineinhalb Kilometer gefahren. Oder sie hat auf 300 km/h beschleunigt und ist in einem Tunnel verschwunden. Ich weiss nicht wie gut das Fledermaushirn sowas reinrechnen kann.
So in der Art, wie vielleicht eine Fledermaus eine Lock hört, so sehen wir Sterne. Wir sind Fledermäuse des Lichts. Lass mich ausführen.
Die Andromedagalaxie ist 2,5 Millionen Lichtjahre entfernt und hat 200 Tausend Lj im Durchmesser. Das entspricht in etwa einem Stuhl der 5 Meter entfernt steht, wenn wir dessen Sitzfläche mit 40 Centimeter annehmen.
Die Andromedagalaxie besteht aus einer Billion Sternen (Eins mit 12 Nullen). Das sind die Anzahl der Sandkörner in einem Kubikmeter feinem Sand (Sandkorn mit Zehntel-Millimeter Durchmesser).
Genauso wie ein Sandhaufen eigentlich nur von aussen einer ist, so ist die Andromedagalaxie auch nur von aussen eine Galaxie. Eine Ameise im Haufen sieht keinen Haufen, nur Körner. Eine Galaxie ist in Wahrheit nur ein Haufen Sterne im Raum, gar keine Galaxie von innen her gesehen.
Im Jahr 2014 entdeckte man eine andere Galaxie, MACS1149-JD1. Sie ist gut 13 Milliarden Lj entfernt und 3 Tausend Lj im Durchmesser. Das entspricht einem Nagelkopf (halber Zentimeter) in 26 Kilometer Entfernung.
Das Licht, das grad zu uns von MACS kommt, war also 13Mrd Jahre unterwegs. In Wahrheit is MACS aber 2,3 mal so weit weg, weil sich das Universum immer mehr ausgedehnt hat in der Zwischenzeit.
Eine andere Galaxie ist CL 1358+62 G1. Sie hat einen Durchmesser von 300 Tausend Lj, ist also etwas grösser als Andromeda (deren 40cm “Stuhlfläche” entsprechen bei CL-G1 jetzt 60cm). Was ich mir so zusammengerechnet hab, muss CL-G1 so um die 11,5Mrd Lj weit weg sein (Stuhl in 23 Kilometer Entfernung). Ich konnt’ aus dem Internet nur die wahre Distanz rauskriegen, nicht die Lichtjahre, aber da ich ja den Faktor 2,3 kenne konnt’ ich umrechnen.
Alles in Allem ist das mit dem Licht und der Ausdehnung des Universums ziemlich involviert, bis man mal von einem Bild im Teleskop auf die Lichtjahre kommt.
Stellen wir uns mal einen Stuhl vor, den ich am Sperrmüllsammelplatz in den Container werfe. Er dreht sich in der Luft, bewegt sich in einem Bogen. Ich seh ihn also von verschiedenen Seiten. Und doch erkenne ich ihn als den selben Stuhl. Das ist weil das Hirn “zurückrechnen” kann. Aus den zweidimensionalen Bildern auf der Netzhaut wird ein Objekt im Raum erdacht.
Und: auch wenn ich beispielsweise die Unterseite des Stuhls niemals gesehen habe, so weiss ich doch genau genug, wie so eine Unterseite aussehen muss. Ein Stuhl ohne Unterseite ist nicht denkbar. Anders gesagt: weil’s sowas wie einen Stuhl ohne Unterseite nicht gibt, wird sie zum Objekt hinzugedacht, damit das Objekt existieren kann.
Wir merken, es ist eine grosse Leistung die unser Hirn da automatisch vollbringt, wenns um die Distanz und Lage von Stühlen geht. Weil wir auf Stühlen gesessen sind, sie rumgerückt, also auch betastet haben. Bei Galaxien müssen wir Teleskope bauen und ganze Rechenzentren programmieren um uns ein 3D Bild machen zu können.
Es stellt sich eine kleine Zwischenfrage: wenn sich der Raum ausdehnt, dann müssten ja auch die Galaxien selbst grösser werden und alles bleibt relativ gesehen gleich, sodass man eine Raumausdehnung gar nicht merken kann. Dieser Gedanke ist gut, aber fakisch falsch. Fakt ist, dass die Galaxien fest genug zusammenhalten, sodass diese selbst an Grösse nicht zunehmen. Der Raum dehnt sich sozusagen “unterm Arsch” der Galaxien weg aus.
Ich würd’ an dieser Stelle in der Raum-Galaxie Frage so weit gehen, dass der Raum gar nicht existiert. Es existieren Objekte im Raum, der Raum selbst existiert nicht. Sogar Galaxien existieren nicht, nur deren Sterne existieren.
Bei Andromeda muss man übrigens die Ausdehnungsgeschwindigkeit des Universums nicht mitbetrachten. Andromeda liegt ziemlich nahe, da bleiben Zweieinhalb Millionen Lichtjahre gleich 2,5Mio Lj.
Weil die Ausdehnung von Andromeda etwa 200T Lj ist, sehen wir zwei gleich alte Sterne in verschiedenen Stadien ihres Lebens. Weil der eine in der Galaxie vorne und der andere von uns aus gesehen weiter hinten liegt (schwächer leuchtet). Der hintere Stern erscheint 200T Jahre jünger. Weil wir auf der Fotoplatte des Teleskops eben nur einen Snapshot aus Licht bekommen, bedeutet “weiter hinten” sowohl weiter hinten im Raum als auch in der Zeit. Das müssen wir alles rausrechnen, damit wir uns die Galaxie richtiger vorstellen können.
Wie gesagt, verglichen mit Andromeda entspricht CL-G1 einem Stuhl, der nicht in 5m sondern in viel weiterer Entfernung, in 23 Kilometer Entfernung steht. Viele Sterne die wir in der weit entfernten CL G1 sehen, gibt’s schon gar nicht mehr. Denn ein Stern wie unsere Sonne lebt nur etwa 10Mrd Jahre, Sterne mit 100 Sonnenmassen leben gar nur ein bis drei Millionen Jahre. Weil ihr Licht zu uns tausende oder millionen Male länger gebraucht hat als ihre Lebenszeit, gibt’s viele Sterne schon nicht mehr. Gemessen an der Laufzeit des Lichts ist so ein schwerer Stern nur ein Lichtblitz. Diese schweren Sterne leuchten auf und enden gleich drauf in einer gewaltigen Explosion, einer Supernova.
Die Galaxie als Ansammlung von Sternblitzen. Lass mich diesen Gedanken ausbauen.
Ein schwerer Stern in CL-G1 lebt, wie gesagt, eine Million Jahre. Das ist dann der 11,5 Millionste Miniteil der Reisezeit des Lichts. Bei einem Tonsignal, das eine Minute fliegt, entspricht dieser Miniteil 5 Mikrosekunden. Bitte stell dir, nur mal für Spass, einen Stuhl am Sperrmüllplatz als eine Folge von ganz vielen Lichtblitzen im Raum vor, die ständig aber jeweils nur so für ein paar Mikrosekunden aufblitzen.
Mit dieser Stuhl-als-Lichtblitz Vorstellung will ich auf Folgendes hinaus: dass bewegte Körper schrumpfen, stimmt im Grunde. Anders gesagt: die populäre Darstellung der Relativitätstheorie stimmt. Bewegte Körper sind verkürzt. Nur der Begriff “Körper” führt hier in die Irre. Denn ein “Körper” sollte hier nicht als starr, sondern besser als Blitzfeuerwerk gesehen und verstanden werden.
Galaxien existieren nicht, nur Sterne. So wurde gesagt. Der Raum existiert nicht, nur Objekte im Raum existieren. So wurde gesagt. Existiert der Stuhl? Oder nur die Lichtblitze? Antwort: der Stuhl existiert als einer unter vielen. Als ein Stuhl von vielen existiert der Stuhl. Als einzelner Stuhl für sich gesehen existiert er nicht, da gibt’s nur die Lichtblitze.
Da wird einem Schwindlig. Aber man gewöhnt sich dran. Existieren tun Objekte nur in Bezug auf ein Grösseres Ganzes, in Bezug auf ein Ensemble von Objekten mit gleichen Eigenschaften die entweder wirklich existieren oder existieren könnten, existieren werden usw. Die Dinge stützen sich gegenseitig, wie ein Kreis von Kindern wo jeder auf dem Schoss des hinteren Kindes sitzt, letzlich jeder also auf sich selbst.
Allgemein gilt: Objekte haben Eigenschaften (schwer, durchsichtig usw.), und Existenz ist eben grad keine Eigenschaft des Objekts. Der Zehn-Euroschein in der Schublade hat die selben Eigenschaften, ob er da drin liegt oder nicht. Ändern tut sich nur mein Vermögen mit seiner Existenz.
Bewegte “Körper” schrumpfen, wenn wir uns an ihnen vorbeibewegen, wurde gesagt. Das ist, weil die gleichzeitigen Blitze des Körpers nicht gleichzeitig bei uns Bewegten ankommen. Wir sehen zur gleichen Zeit verschiedene Stadien der Teile des “Körpers”. Genaugenommen existiert der Körper daher gar nicht. Es existieren nur seine Blitze. Das ist genau wie bei Galaxien, sie existieren nicht, nur deren Sterne, und die kommen und gehen. Wenn ich mich am Stuhl vorbeibewege, ist es nicht der selbe Stuhl wie für den, der drauf sitzt. Es ist ein anderer “Körper”.
Dasselbe gilt für Uhren. Bei zwei baugleichen Uhren geht die bewegte langsamer. Das klingt paradox, weil: wie können zwei Uhren unterschiedliche Zeigerstellungen haben, wo sie doch baugleich sind? Der Grund ist, dass die beiden Uhrzeiger nicht mehr die gleichen Zeiger sind, sobald sie sich bewegen. Weil sie eben aus Blitzen bestehen, deren Gleichzeitigkeit nicht für jeden gleich ist.
Jetzt sagst du: haha, nur weil die Blitze bei mir hintereinander ankommen, heisst das noch nicht dass sie wirklich hintereinander abgefeuert wurden. Das kann man ja rausrechenen, wie bei den Sternen. So wie das die Fledermäuse wahrscheinlich auch tun.
Nun: das wirklich Komische ist, dass von dieser Ungleichzeitigkeit der bewegten Blitze aller Erfahrung nach irgendwas auf Dauer hängenbleibt. Denn eine Uhr, die wie ein Boomerang wieder zum Ursprung zurückkehrt, geht immer etwas nach. Die Uhr gleicht dieses Blitzdingsda nicht mehr aus beim zurückfliegen. Da bleibt was hängen. Was keiner versteht. Selbst wenn wir alles rausrechnen, von Anfang an müssen wir den Zeiger uns immer weiter hinten geblitzdingsbumst denken. So wie wir uns die Unterseite eines Stuhls dazudenken müssen. Wir sind Fledermäuse des Lichts.
Ps: Die Boomerang Uhr bleibt nicht geschrumpft. Wenn sie langsamer wird und dann stehenbleibt dann dehnt sie sich wieder genau auf die Ursprungsgröße aus. Bei der Ausdehnung bleibt nix hinten. Die Uhr ist nur jünger, nicht schlanker.