Wittgensteins Logisch-philosophische Abhandlung, der Tractatus, ist leicht zu verstehen.

Lass uns beim Lesen des Folgenden denken an den Satz “The moon orbits the earth and the earth is not a number”.

Bevor wir loslegen, definieren wir noch die zwei Begriffe (1) Ding und (2) Sachverhalt.
Dinge: “moon”, “earth”, “number”
Sachverhalte: “The moon orbits the earth”, “the earth is a number”

Der Tractatus

Wirklichkeit

4.1 Der Satz stellt das Bestehen und Nichtbestehen der Sachverhalte dar.

2.06 Das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten ist die Wirklichkeit. (Das Bestehen von Sachverhalten nennen wir auch eine positive, das Nichtbestehen eine negative Tatsache.)

4.01 Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit.

2.1 Wir machen uns Bilder der Tatsachen.

2.12 Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit.

2.18 Was jedes Bild, welcher Form immer, mit der Wirklichkeit gemein haben muss, um sie überhaupt – richtig oder falsch – abbilden zu können, ist die logische Form, das ist, die Form der Wirklichkeit.

2.182 Jedes Bild ist auch ein logisches. (Dagegen ist z. B. nicht jedes Bild ein räumliches.)

2.11 Das Bild stellt die Sachlage im logischen Raume, das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten vor.

4.01 Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit.

Möglichkeit

2.202 Das Bild stellt eine mögliche Sachlage im logischen Raume dar.

2.21 Das Bild stimmt mit der Wirklichkeit überein oder nicht; es ist richtig oder unrichtig, wahr oder falsch.

2.201 Das Bild bildet die Wirklichkeit ab, indem es eine Möglichkeit des Bestehens und Nichtbestehens von Sachverhalten darstellt.

2.12 Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit.

4.031 Im Satz wird gleichsam eine Sachlage probeweise zusammengestellt.
Man kann geradezu sagen: statt, dieser Satz hat diesen und diesen Sinn; dieser Satz stellt diese und diese Sachlage dar.

2.223 Um zu erkennen, ob das Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen.

4.05 Die Wirklichkeit wird mit dem Satz verglichen.

4.06 Nur dadurch kann der Satz wahr oder falsch sein, indem er ein Bild der Wirklichkeit ist.

Welt

2.04 Die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte ist die Welt.

1.11 Die Welt ist durch die Tatsachen bestimmt und dadurch, dass es alle Tatsachen sind.

1.1 Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge.

2 Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten.

1 Die Welt ist alles, was der Fall ist.

Künstliche Zeichensprache

3.11 Wir benützen das sinnlich wahrnehmbare Zeichen (Laut- oder Schriftzeichen etc.) des Satzes als Projektion der möglichen Sachlage.

3.323 In der Umgangssprache kommt es ungemein häufig vor, dass dasselbe Wort auf verschiedene Art und Weise bezeichnet.
(Im Satze „Grün ist grün“ – wo das erste Wort ein Personenname, das letzte ein Eigenschaftswort ist – haben diese Worte nicht einfach verschiedene Bedeutung, sondern es sind verschiedene Symbole.)

3.325 Um diesen Irrtümern zu entgehen, müssen wir eine Zeichensprache verwenden, welche sie ausschliesst, indem sie nicht das gleiche Zeichen in verschiedenen Symbolen, und Zeichen, welche auf verschiedene Art bezeichnen, nicht äusserlich auf die gleiche Art verwendet. Eine Zeichensprache also, die der logischen Grammatik – der logischen Syntax – gehorcht.
(Die Begriffsschrift Frege’s und Russell’s ist eine solche Sprache, die allerdings noch nicht alle Fehler ausschliesst.)

Ein Beispiel der künstlichen Zeichensprache

4.016 Um das Wesen des Satzes zu verstehen, denken wir an die Hieroglyphenschrift, welche die Tatsachen die sie beschreibt abbildet.

3.332 Kein Satz kann etwas über sich selbst aussagen.

3.333 Eine Funktion kann darum nicht ihr eigenes Argument sein, weil das Funktionszeichen bereits das Urbild seines Arguments enthält und es sich nicht selbst enthalten kann.
Dies wird sofort klar, wenn wir statt „F (F (u))“ schreiben „(∃ϕ) : F (ϕu) . ϕu = Fu“.
Hiermit erledigt sich Russell’s Paradox.

3.327 Das Zeichen bestimmt erst mit seiner logisch-syntaktischen Verwendung zusammen eine logische Form.

Zeichensprache als Bild

4.011 Auf den ersten Blick scheint der Satz – wie er etwa auf dem Papier gedruckt steht – kein Bild der Wirklichkeit zu sein, von der er handelt. Aber auch die Notenschrift scheint auf den ersten Blick kein Bild der Musik zu sein, und unsere Lautzeichen- (Buchstaben-)Schrift kein Bild unserer Lautsprache.
Und doch erweisen sich diese Zeichensprachen auch im gewöhnlichen Sinne als Bilder dessen, was sie darstellen.

4.03 Ein Satz muss mit alten Ausdrücken einen neuen Sinn mitteilen. Der Satz teilt uns eine Sachlage mit, also muss er wesentlich mit der Sachlage zusammenhängen.
Und der Zusammenhang ist eben, dass er ihr logisches Bild ist.
Der Satz sagt nur insoweit etwas aus, als er ein Bild ist.

4.04 Am Satz muss gerade soviel zu unterscheiden sein, als an der Sachlage die er darstellt.
Die beiden müssen die gleiche logische (mathematische) Mannigfaltigkeit besitzen. (Vergleiche Hertz’s Mechanik, über Dynamische Modelle.)

4.01 Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit.
Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns denken.

3.1 Im Satz drückt sich der Gedanke sinnlich wahrnehmbar aus.

3.12 Das Zeichen, durch welches wir den Gedanken ausdrücken, nenne ich das Satzzeichen. Und der Satz ist das Satzzeichen in seiner projektiven Beziehung zur Welt.

3.1431 Sehr klar wird das Wesen des Satzzeichens, wenn wir es uns, statt aus Schriftzeichen, aus räumlichen Gegenständen (etwa Tischen, Stühlen, Büchern) zusammengesetzt denken.
Die gegenseitige räumliche Lage dieser Dinge drückt dann den Sinn des Satzes aus.

Die Welt in der Zeichensprache

2.05 Die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte bestimmt auch, welche Sachverhalte nicht bestehen.

2.06 Das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten ist die Wirklichkeit.

2.063 Die gesamte Wirklichkeit ist die Welt.

1.12 Denn, die Gesamtheit der Tatsachen bestimmt, was der Fall ist und auch, was alles nicht der Fall ist.

1.13 Die Tatsachen im logischen Raum sind die Welt.

Denken in der Zeichensprache

3.03 Wir können nichts Unlogisches denken, weil wir sonst unlogisch denken müssten.

3.032 Etwas „der Logik widersprechendes“ in der Sprache darstellen, kann man ebensowenig, wie in der Geometrie eine den Gesetzen des Raumes widersprechende Figur durch ihre Koordinaten darstellen; oder die Koordinaten eines Punktes angeben, welcher nicht existiert.

5.61 Was wir nicht denken können, das können wir nicht denken; wir können also auch nicht sagen, was wir nicht denken können.

3.031 Wir könnten nämlich von einer „unlogischen“ Welt nicht sagen, wie sie aussähe.

3.02 Der Gedanke enthält die Möglichkeit der Sachlage die er denkt. Was denkbar ist, ist auch möglich.

Grenzen der Zeichensprache

6.36 Wenn es ein Kausalitätsgesetz gäbe, so könnte es lauten: „Es gibt Naturgesetze“.
Aber freilich kann man das nicht sagen: es zeigt sich.

5.6 Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.

6.43 Wenn das gute oder böse Wollen die Welt ändert, so kann es nur die Grenzen der Welt ändern, nicht die Tatsachen; nicht das, was durch die Sprache ausgedrückt werden kann.
Kurz, die Welt muss dann dadurch überhaupt eine andere werden. Sie muss sozusagen als Ganzes abnehmen oder zunehmen.
Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.

7 Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.

Erläuterung

Kunstsprache

Der Witz am Tractatus ist, dass Wittgenstein mit “Sprache” ab einem gewissen Punkt in seiner Abhandlung immer eine mathematische Notation mit griechischen Buchstaben meint. Wer schon einmal einen Podcast über Mathematik und Logik gehört hat, weiss dass man so eine “Sprache” eigentlich nur mehr schreiben sollte weil sie unverständlich ist, wenn sie nur ausgesprochen wird. Diese “Sprache” ist wenn überhaupt nur mehr dann zu verstehen, wenn man das Schriftbild sieht. Sie ist nur als Zeichensprache sinnvoll.

4.016 Um das Wesen des Satzes zu verstehen, denken wir an die Hieroglyphenschrift, welche die Tatsachen die sie beschreibt abbildet.

Geschlossenes System

Und nur in einer Kunstsprache kann gelten:

2.05 Die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte bestimmt auch, welche Sachverhalte nicht bestehen.

Das ist deswegen, weil in der gewählten Kunstsprache die Anzahl der möglichen Dinge und ihrer möglichen Eigenschaften von vornherein definiert sind.

Eine Analogie wäre die Luft der Atmosphäre. Ein Gas aus Stickstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff. Stellen wir uns die Atmosphäre als ein geschlossenes System vor, etwa ähnlicher der Venus als der Erde (keine Autos und Rindviecher). Die Elemente N, O, C, und H sind gegeben. Auch die jeweilige Anzahl der Atome ist gegeben, riesig gross aber fix. Die möglichen Kombinationen (die möglichen Moleküle) sind damit auch gegeben.

6.45 Die Anschauung der Welt sub specie aeterni ist ihre Anschauung als – begrenztes – Ganzes.
Das Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes ist das mystische.

5.6 Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.

Hier sagt Wittgenstein dass wir nicht beweisen können, dass man sich die Welt als ein geschlossenes Gas - begrenztes Ganzes - vorstellen kann. Aber es ist sein Gefühl. Seine Welt.

Damit können wir jetzt auch den obigen Satz übersetzen:

2.05 Die Gesamtheit der bestehenden Sachverhalte bestimmt auch, welche Sachverhalte nicht bestehen.

-> Die Gesamtheit der bestehenden Moleküle bestimmt auch, welche Moleküle nicht bestehen.

1.1 Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge.

-> Die Welt ist die Gesamtheit der Moleküle, nicht der Atome.

Die Dinge sind die Atome, die Tatsachen sind die Moleküle.

Ich behaupte, Wittgenstein selbst hat die Physik der Gase, die Thermodynamik und damit die statistische Mechanik, als Vorbild für den Tractatus genommen. Der Tractatus ist eine Kombination aus Bolzmanns statistischer Mechanik und Freges Logik.

Wenn man jetzt weiss, dass sich Bolzmanns Physik in einem abstrakten hochdimensionalen Raum, dem Phasenraum, abspielt, wird in Wittgensteins Aussagen die Analogie zu Atomen und Molekülen im Phasenraum ganz deutlich. Auch Heinrich Hertz, er wird im Tractatus explizit erwähnt, erklärt seine ganze Mechanik mithilfe des Phasenraums als Bild der Wirklichkeit.

Dazu kommt, dass Wittgenstein am Anfang Diplomingenieur war, er beschäftigte sich mit “flugtechnischen Fragen”. Dabei begannen ihn die Fragen nach Logik und Wirklichkeit, also Fragen der Philosophie, zu beschäftigen. Darum ging er nach Cambridge und fragte Russel ober er, Wittgenstein, ein Idiot sei oder als Philosoph was tauge. Russel verlangte, er solle ein Paper schreiben und man würde weitersehen. Ludwig blieb Philosoph.

Analogie von logischem und physischem Raum

1.13 Die Tatsachen im logischen Raum sind die Welt.

-> Die Moleküle im Phasenraum sind die Welt.

Die Lage aller Moleküle stellen wir uns jetzt als schwarze Punkte im Raum vor bitte. Das ist nicht so schwer. Oft denkt man aber auch nur an blaue Punkte auf einem Blatt Papier, weiss aber schon was in Wirklichkeit gemeint ist, nämlich dass in Wirklichkeit drei Dimensionen vorherrschen und nicht nur zwei. Aber sehr oft reichen zwei Dimensionen aus (also ein Blatt), um das Wesentliche zu verstehen, darzustellen und zu kommunizieren.

Physiker wie Heinrich Hertz und nach ihm Wittgenstein und jeder Physikstudent denken im Phasenraum. Nun, im Phasenraum wird alles nochmal hirnakrobatischer. Wir denken uns wieder schwarze Punkte im Raum, bitte, wie vorher. Eine bestimmte Lage dieser Punkte in diesem “normalen” Raum wird nun im Phasenraum durch einen einzigen Punkt dargestellt, welcher aber in einem Raum mit ganz ganz vielen Dimensionen lebt. Das kann sich niemand vorstellen, ist aber auch nicht nötig, man stelle sich wiederum einen einzigen roten Punkt auf einem Blatt Papier vor. Ähnlich wie den Schieber bei einem Youtube Video, wenn man den verschiebt sieht man ein ganz anderes Bild am Schrim, der Schieber am unteren Rand steht für das komplette Bild. So circa verhält sich der eine rote Punkt am Blatt Papier zu den vielen blauen Punkten auf einem anderen Blatt. Man gewöhnt sich dran und weiss was gemeint ist mit dem einen roten Punkt. Also:

-> Der eine Punkt im Phasenraum ist die Welt (man stelle sich diesen Weltpunkt auf einem Blatt Papier und rot vor; ändert sich die Welt, verschiebt sich die Lage des Weltpunktes auf diesem Phasenblatt)

2.013 Jedes Ding ist, gleichsam, in einem Raume möglicher Sachverhalte. Diesen Raum kann ich mir leer denken, nicht aber das Ding ohne den Raum.

-> Jedes Atom steckt in dem einen Weltpunkt, der sich wiederum an einem bestimmten Ort im Phasenraum befindet, wobei der Weltpunkt auch an allen möglichen Orten sein könnte, aber eben in Wirklichkeit nicht ist. Den Phasenraum kann ich mir leer denken, …
-> Jedes Atom ist, gleichsam, in einem Raume möglicher Moleküle. …

2.0131 Der räumliche Gegenstand muss im unendlichen Raume liegen.
Der Fleck im Gesichtsfeld muss zwar nicht rot sein, aber eine Farbe muss er haben: er hat sozusagen den Farbenraum um sich. Der Ton muss eine Höhe haben, der Gegenstand des Tastsinnes eine Härte u. s. w.

Dieses Statement ist für mich der erste Beweis, dass Wittgenstein in Anlehnung an Heinrich Hertz an den Phasenraum denkt.

-> Der Phasenraum muss unendlich gross gedacht werden, das Phasenblatt stelle man sich analog am besten als riesengross vor. Der Weltpunkt muss zwar nicht links unten liegen, aber irgendwo muss er sein. Eine bestimmte Farbe, eine bestimmte Härte usw. eine Gegenstandes werfen den Weltenpunkt in einen bestimmten Bereich (Spielraum, Platz, Schublade, Unterraum) des Phasenraums.
-> Moleküle können sich beliebig verbinden, Atome allein gibt es nicht und jede eingegangene Verbindung schliesst andere dann aus.
Das Wasserstoffatom H muss sich zwar nicht mit einem Kohlenstoffatom C verbinden, aber irgendeine Verbindung (Z.B mit Sauerstoff) muss es eingehen: es hat sozusagen den Molekülraum um sich. Das Kohlenstoffatom C muss sich über eine ganz bestimmte Art verbinden (Einfachbindung, Doppelbindung). Das Kohlenstoffatom C muss sich zum Kohlenwasserstoff mit einer ganz bestimmten Anzahl anderer C Atome verbinden u.s.w

2.11 Das Bild stellt die Sachlage im logischen Raume, das Bestehen und Nichtbestehen von Sachverhalten vor.

-> Der rote Punkt am Blatt Papier, der Weltpunkt am Phasenblatt, stellt das Bestehen und Nichtbestehen von Molekülen vor.

2.202 Das Bild stellt eine mögliche Sachlage im logischen Raume dar.

-> Ich kann den roten Punkt am Blatt Papier in Gedanken verschieben, das stellt dann eine mögliche Anordnung der Moleküle dar.

3.032 Etwas „der Logik widersprechendes“ in der Sprache darstellen, kann man ebensowenig, wie in der Geometrie eine den Gesetzen des Raumes widersprechende Figur durch ihre Koordinaten darstellen; oder die Koordinaten eines Punktes angeben, welcher nicht existiert.

Hier ist für mich wiederum ein Beweis für Wittgensteins Anlehnung an den Phasenraum:

-> Ich muss den roten Punkt aufs Blatt, den Weltpunkt aufs Phasenblatt zeichnen, weil in der Luft kann ich ihn nicht zeichnen.

Im folgenden meint Satzzeichen die Buchstabenfolge am Papier die den Satz darstellt.

3.41 Das Satzzeichen und die logischen Koordinaten: Das ist der logische Ort.

Das was Wittgenstein als Satzzeichen bezeichnet, ist für uns die Angabe der Koordinaten des Weltpunktes. Man kann ja tatsächlich jeden beliebigen Buchstaben (auch griechischen oder ägyptischen) durch eine Zahl ersetzen. Und tatsächlich hat Kurt Gödel mit diesem Konzept ernst gemacht und tatsächlich eine Formalsprache mit zugehörigen Gödelnummern erschaffen.

3.1431 Sehr klar wird das Wesen des Satzzeichens, wenn wir es uns, statt aus Schriftzeichen, aus räumlichen Gegenständen (etwa Tischen, Stühlen, Büchern) zusammengesetzt denken.
Die gegenseitige räumliche Lage dieser Dinge drückt dann den Sinn des Satzes aus.

-> Ich kann mir den Weltenpunkt als einen einzigen roten Punkt am Blatt Papier vorstellen, aber auch die Koordinaten des Punktes in vielen, vielen Zahlen angeben. Ich kann mir auch den einen Punkt kurzzeitig wieder als mehrere Punkte im Raum vorstellen.

Beim nächsten Statement wird klar gemacht, dass ein Satz nicht unbedingt den Weltpunkt genau festlegen muss, ein Satz schränkt den Weltpunkt vielmehr auf einen Bereich (Spielraum, Platz, Schublade, Unterraum) ein. Ein darauffolgender (wahrer) Satz muss den Weltpunkt in den verbleibenden Bereich werfen. Falls zwei Sätze den Weltpunkt in verschiedene Bereiche werfen, sind diese sinnlos, da die Wirklichkeit durch die beiden Sätze dann nicht bestimmt wird.

4.463 Die Wahrheitsbedingungen bestimmen den Spielraum, der den Tatsachen durch den Satz gelassen wird.
(Der Satz, das Bild, das Modell, sind im negativen Sinne wie ein fester Körper, der die Bewegungsfreiheit der anderen beschränkt; im positiven Sinne, wie der von fester Substanz begrenzte Raum, worin ein Körper Platz hat.)
Die Tautologie lässt der Wirklichkeit den ganzen – unendlichen – logischen Raum; die Kontradiktion erfüllt den ganzen logischen Raum und lässt der Wirklichkeit keinen Punkt. Keine von beiden kann daher die Wirklichkeit irgendwie bestimmen.

-> ich muss nicht alle Koordinaten des Weltpunktes auf einmal angeben, ich kann auch sagen, er liegt auf dieser oder jeder Ebene.

Denken und Sprechen

3.02 Der Gedanke enthält die Möglichkeit der Sachlage die er denkt. Was denkbar ist, ist auch möglich.

3.03 Wir können nichts Unlogisches denken, weil wir sonst unlogisch denken müssten.

3.4 Der Satz bestimmt einen Ort im logischen Raum. Die Existenz dieses logischen Ortes ist durch die Existenz der Bestandteile allein verbürgt, durch die Existenz des sinnvollen Satzes.

Wittgenstein fordert also, dass seine (angenommene) Kunstsprache so gestaltet ist, dass jeder Satz sinnvoll ist und also gültige, wenn vielleicht auch nur mögliche, Koordinaten des Weltpunktes ergibt. Oder besser gesagt: für ihn ist die einzige Aufgabe der Philosophie folgende: sinnlose Sätze auszumisten und bestimmte Denkformen als sinnlos zu identifizieren.

Wittgensteins Annahme, dass eine garantiert widerspruchsfreie Kunstsprache möglich ist, wurde durch Gödel in seinen berühmten Unvollständigkeitssätzen widerlegt. Damit ist auch Wittgensteins obige Behauptung falsch, dass man Russel’s Paradox ein für alle mal aus der Sprache rauskonstruieren und damit unmöglich machen kann.

Wir wählen einfach eine Notation, in der wir keine Fehler machen können. Es kann nur Mögliches dargestellt werden. Wir können mit dieser Notation nichts darstellen, was nicht möglich ist. Die From der Sprache verhindert Fehler.

Nun zum zentralen Satz:

7 Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.

Ich dachte immer, dass es sich bei diesem berühmten Statement um eine Tautologie handelt, nach Wittgenstein also “der Wirklichkeit den ganzen – unendlichen – logischen Raum” lässt (siehe oben). Denn wenn die Notation etwas nicht zulässt, kann man nix darüber schreiben. Ich glaube das ist die Lesart von Carnap.

Nur, im Tractatus steht auch:

6.43 Wenn das gute oder böse Wollen die Welt ändert, so kann es nur die Grenzen der Welt ändern.

Das heisst, ich kann zwar schweigen aber sehr wohl durch Taten zerstören oder aufbauen.

Es ist wie mit der Tür die sich in der Angel dreht. Ich mache die Tür auf und wieder zu und bin zufrieden. Das ist meine Welt. Die Welt ist eine andere, wenn die Tür aus den Angeln gehoben wird. Oder der Türrahmen weggestemmt und zugemauert wird.

Ich will ein Datencenter das nicht gehackt werden kann. Ich bezahle Leute dafür die ihr bestes geben. Aber was ist, wenn eine Atombombe drauffliegt? Dann ist die Welt eine andere.

Oder: der Physiker im Labor kann erst wirklich arbeiten, wenn seine Geräte alle aufgebaut sind und mehr als Datenmüll liefern. Erst dann beginnt die Physik. Vorher ist alles Psychologie.

Die Physik um 1700 war eine andere als heute, wegen der Geräte. Und wer weiss welche Geräten wir in Zukunft bauen werden. Die Welt ohne IPhone war eine andere. Vielleicht können wir irgendwann ein Elektron vom anderen unterscheiden, von wegen fundamental ununterscheidbar. So eine Welt ist dann auch eine andere.

Ein weiteres Zitat:

6.52 Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort.

6.521 Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems.
(Ist nicht dies der Grund, warum Menschen, denen der Sinn des Lebens nach langen Zweifeln klar wurde, warum diese dann nicht sagen konnten, worin dieser Sinn bestand.)

6.522 Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.

Über den Sinn des Lebens muss man schweigen. Er liegt ausserhalb der geschlossenen Welt. Aber Wittgenstein zeigt auch, dass man über die Frage “Was ist der Sinn des Lebens” sehr wohl reden kann, nämlich um zu argumentieren dass die Lösung das Schweigen ist weil die Frage als solche weganalysiert wurde.

Im Konjunktiv redet Wittgenstein sehr wohl über das Unaussprechliche:

6.36 Wenn es ein Kausalitätsgesetz gäbe, so könnte es lauten: „Es gibt Naturgesetze“.
Aber freilich kann man das nicht sagen: es zeigt sich.

6.371 Der ganzen modernen Weltanschauung liegt die Täuschung zugrunde, dass die sogenannten Naturgesetze die Erklärungen der Naturerscheinungen seien.

6.372 So bleiben sie bei den Naturgesetzen als bei etwas Unantastbarem stehen, wie die älteren bei Gott und dem Schicksal.
Und sie haben ja beide Recht, und Unrecht. Die Alten sind allerdings insofern klarer, als sie einen klaren Abschluss anerkennen, während es bei dem neuen System scheinen soll, als sei alles erklärt.

Wittgensteins Satz:

7 Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.

ist tatsächlich eine Tautologie, also ein Satz der den ganzen unendlichen Raum aufspannt. Insofern bestimmt dieser Satz die Wirklichkeit nicht. Und doch zeigt dieses Statement etwas: dass eine andere Form von Ausdruck gefunden werden kann, sozusagen eine Metaausdrucksform, deren möglicher Raum noch um ein zwei Dimension unendlicher ist.

6.372 … Die Alten sind allerdings insofern klarer, als sie einen klaren Abschluss anerkennen …

Ethik

Manche würden “Sinn” vielleicht mit der Frage “welchen Weg zu Gott?” übersetzen. Und in der Tat wäre es gut, über die Frage “welchen Weg zu Gott?” zu reden (im Konjunktiv) um das Schweigen als Lösung zu sehen. Motto: “schau ma mal, er wird sich schon zeigen”. Wenn Schweigen (und Schauen) nicht als Lösung angesehen wird, dann wird nach neuen Ausdrucksformen gesucht. Ungemütlich wird’s dann, wenn das Neue dann als Endgültig gesetzt wird:

6.372 … während es bei dem neuen System scheinen soll, als sei alles erklärt.

6.42 Darum kann es auch keine Sätze der Ethik geben. Sätze können nichts Höheres ausdrücken.

Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen sonst wird man streiten.