Vernunftvertrauen
Freunde, ich fühle mich bemüssigt zu Zitaten von Einstein zu senfen. Sie sind aus dem Piper Buch “Einstein sagt”.
Angesichts solcher Harmonie mit dem Kosmos, die ich, mit meinem begrenzten Verstand, wahrnehmen kann, (S 307)
[habe ich] auch das Vertrauen in die Möglichkeit, die in der Welt des Seienden geltenden Gesetzmässigkeiten seien vernünftig, d.h. durch die Vernunft begreifbar. (S 305)
Wittgenstein über Unlogisches
Weiter mit Wittgenstein (Traktatus Satz 3.03ff):
Wir können von einer “unlogischen” Welt nicht s a g e n wie sie aussähe. (3.031)
Mit “sagen” meint Wittgenstein “sinnlich wahrnehmbare Zeichen”.
Etwas “der Logik widersprechendes” in der Sprache darstellen, kann man ebensowenig, wie … die Koordinaten eines Punktes angeben, welcher nicht existiert. (3.032)
Wir können nichts Unlogisches denken, weil wir sonst unlogisch denken müssten. (3.03)
Er gibt aber zu, dass wir Unphysikalisches denken können:
Wohl können wir einen Sachverhalt räumlich darstellen, welcher den Gesetzen der Physik, aber keinen, der den Gesetzen der Geometrie zuwiderliefe. (3.0321)
Wittgenstein weiter zur Physik:
Der ganzen modernen Weltanschauung liegt die Täuschung zugrunde, dass die sogenannten Naturgesetze die Erklärungen der Naturerscheinungen seien. (6.371)
Einstein über Religion
Bezüglich Physik solle man sowieso eher Einstein zuhören:
Mein Gefühl ist insoweit religiös als ich erfüllt bin von dem Bewusstesein vom Ungenügen des menschlichen Verstandes, die Harmonie des Universums zu erfassen, welche wir als “Naturgesetze” zu formulieren versuchen. (S 312)
Das ewig Unbegreifliche an der Welt ist ihre Begreiflichkeit. Dass die Setzung einer realen Aussenwelt ohne jene Begreiflichkeit sinnlos wäre, ist eine der grossen Erkenntnisse Kants. (S 354)
Mein Senf aus der Tube
Ich versuche jetzt in diesem Sinne doch, die unbegreifliche Begreiflichkeit der physischen Welt begreiflich zu machen. Die Annahmen und Argumente sind folgendermassen:
Die Hirnmasse ist physikalisch und damit Teil der “Welt des Seienden”, die ein “Kosmos” mit “Harmonie” ist. Und weil mein Hirn derart physikalisch existiert, funktioniert auch der Verstand nach der Ordnung dieser harmonischen Welt.
Der Verstand muss eine reale Aussenwelt setzen, die dann nur durch ihre Begreiflichkeit Sinn macht. Wieso sollte der Verstand dann eine andere Ordnung erfinden, wenn er doch schon eine Ordnung in sich trägt? Ich kann keinen Grund finden, daher meine ich dass, wenn eine Ordnung existiert, dann reproduzieren wir auch genau diese Ordnung.
Wenn überhaupt kann diese Ordnung uns aber nur teilweise bewusst werden. Zwar erlaubt das Denken wilde Phantasien, doch sind wir im Denken und vor allem in der Kommunikation durch Begriffe und die Regeln der Logik auch stark begrenzt.
Und doch: weil der Verstand nach der Ordnung der Welt funktioniert, ist er tatsächlich befähigt und sogar gezwungen, die ihm eigene kosmische Ordnung in der äusseren Welt richtig zu erzeugen. Und richtig erzeugen heisst: erkennen.
Mein Senf zurück in die Tube
Das Argument geht auch rückwärts: der Verstand projiziert eine Ordnung, warum sollte er selbst nach einer anderen (oder gar keiner) Ordnung funktionieren? Und warum sollte der Kosmos eine andere Ordnung haben als das Gehirn des er erzeugt? Meinung: Nur ein Verstand der einer Ordnung folgt kann eine Ordnung (und nur diese) erzeugen. Nur eine geordnete Welt erzeugt den Verstand der die Ordnung erkennt.
David Deutsch mit Nena auf der Welle
Ich bin ein grosser Fan von David Deutsch. In seinem Buch “The Fabrik of Reality”, Kapitel 6, meint er:
The laws of physics may be said to mandate their own comprehensibility.
Er meint also im Einklang mit dem Bisherigen, dass wir verstehen können. Er geht aber noch weiter:
The laws of Physics … imply the physical existence … of entities that understand them arbitrary well.
Er meint also zusätzlich, dass wir “beliebig” genau verstehen könnten. Das steht im Gegensatz zu meiner obigen Annahme, dass wir wegen der Abhängigkeit von Begriffen im Sprechen und auch Denken auf jeden Fall teilweise begrenzt sind.
Wir könnten beliebig genau verstehen, meint David Deutsch, weil Begriffe und Sprache dabei nicht im Weg stünden, denn wir könnten unsere Hirne und Körper ja direkt verkabeln. David meint “irgendwie, irgendwo, irgend-Mann” (dort wo ich in seinem Zitat drei Punkte gesetzt habe). Frei nach Nena ist seine Poesie:
Im Sturz durch Raum und Zeit
Richtung Unendlichkeit
Fliegen Titäten in das Licht
Genau wie du und ichIrgendwie fängt irgendwann irgendwo die Zukunft an
Entitäten warten lang
Einsicht wird aus Mut gemacht, denk nicht lange nach
Wir fahrn auf Feuerrädern Richtung Zukunft durch die NachtGib mir den Strom, ich bau Spulen ohne Ohm
Irgendwie, irgendwo, irgendwann
Die Zeit ist reif für ein bisschen Einsichtigkeit
Irgendwie, irgendwo, irgendwannIm Sturz durch Zeit und Raum
Erwacht vom Matrixtraum
Nur ein kurzer Augenblick
Dann kehrt die Nacht zurückIrgendwie fängt irgendwann irgendwo die Zukunft an …
Mein Breviergebet
Ich für meinen Teil bin gern bereit, es bei jenen “sinnlich wahrnehmbaren Zeichen” zu belassen, welche mit einer guten Lupe zu erkennen sind, mithin die Horizonterweiterung schon frühzeitig in klassische Poesie auslaufen zu lassen.
Jedenfalls schlage ich als Breviergebet vor:
Die kosmischen Ordnung möge jenen Verstand hervorbringen der eine Welt erzeugt welche der kosmischen Ordnung folgt.