Bräunerhof
Freunde, der Bräunerhof ist insolvent.
Beim alten Bräunerhof stand draussen auf der Tür: “Nicht mehr als vier Personen, keine Kinderwägen”. Wenn man reinging wurde man von einem unfreundlichen Kellner seines Platzes angewiesen. Man bestellte eine Melange und bei deren Servierung wurde man schon mal informiert dass dies die zigteste Überstunde sei in diesem Monat.
Und jetzt kommt das Entscheidende: dann wurde man in Ruhe gelassen. Es herrschte kein weiterer Konsumzwang mehr. Es waren mehr als genug Tische vorhanden, sodass die Leute nicht aufeinanderpickten. Und viele Zeitungen.
Nach dem überstandenen Initiationsritus war man ein freier Mensch an seinem Tisch.
Das heisst: ausser man klappte seinen Laptop auf und fing zu tippen an. Sollte man dann den Fehler machen Augenkontakt mit dem Kellner aufzunehmen kam der sofort vorbei. “Für eine kleine Pause hätten wir Topfenstrudel”.
Es wurde einem sofort klar, dass man gegen die Etikette verstossen hatte. Das Kriterium war Etikette, nicht Konsum. Du durftest dort sein, weil’s der Ober duldete.
Dar Bräunerhof war für intime Diskussionen zwischen zwei, drei Leuten oder für den solitären Zeitungsleser gemacht. So lange man wollte. Weil irgendwann ist jede Diskussion beendet und jede Zeitung ausgelesen. Tippen oder zocken am Computer kann jeder Trottel 4 Stunden und mehr. Wer das beim Diskutieren und Zeitungslesen schafft war willkommen im Bräunerhof, sogar herzlich ab einem gewissen Zeitpunkt.
Ich behaupte hier, dass intime Diskussion und Zeitungslesen, wenn flächendeckend in der Bevölkerung betrieben, eine demokratiepolitische Komponente haben. So wird Stückerl für Stückerl öffentliche Meinung gebildet. Eine Zeitung enthält halt echte Informationen, keinen wisch und weg Bullshit. Darum kann man ja auch nicht so lang mit Zeitung, der Aufmerksamkeitsspanne wegen. Gespräch ditto.
Der Bräunerhof ist ein Safe Space für den stillen Zeitungsleser. Er war auch zuvorderst ein Safe Space für den grantelnden Ober. Letztesmal im hippen Bistro lächelt mich die Kellnerin an als wär ich der frisch geschiedene George Cloony Mitte dreissig. Ich geh davon aus, dass ihr Vorgesetzter das so befürwortet. Und ich befürworte es auch. Aber bitte, ich will sowas nicht von alten weissen Männern sehen. Und welche andere Rolle sollten diese Männer jetzt annehmen um Geld zu verdienen?
Safe Spaces sind halt safe für die einen weil andere ausgeschlossen werden. Da ist erstmal nichts Schlechtes dran. Fitnesscenter für Frauen. Bitte, die Idee darf auf keinen Fall zum Ideal erhoben werden. Festung Österreich ist ein Ideal schwachsinnig sondergleichen. Der archetypische Ober wird ausserhalb seiner Bühne bestenfalls lächerlich.
Ich weiss nicht wie der Bräunerhof sein wird in Zukunft. Er wurde von zwei Wiener Traditionsgastronomen übernommen. Auch Thomas Bernhard hätt’s nicht gestört, er war eh lieber beim Eckel draussen in Döbling.
Im anderen Nobelbezirk Hietzing gab’s das traditionsreiche Cafe mit gleichem Namen direkt an der U-Bahnstation (wie heisst die wohl?). Vor zwanzig Jahren wollte ich das mal besuchen. Ich stellte fest, dass es just zum McCafe umgebaut wurde. Drinnen war noch der alte Betreiber zugange. Er meinte: “San’s net traurig, das war schon lang nicht mehr original. Ich selbst hab noch Falschgold auf die Spanplatten draufpickt damals, damit’s a bissl so ausschaut. Es is net schad drum”.
Ich fuhr direkt zur Adria am Donaukanal. Wie herrlich es war dort zu sitzen und mein Liebling war das Standl unter der Brücke durch (dort bin ich mal unbehelligt im Anzug eingeschlafen, zu faul zum Bestellen im Liegstuhl). Der Bereich ist gentrifiziert mittlerweile. Der besondere Flair ist noch zu finden, weit weit Kanalabwärts, leider ist dort der Verkehr lauter und sichtbarer. Aber: Am Platz der alten Adria ist jetzt Sand mit Liegestühlen und Schirm mit dem Schild “Konsumfreie Zone”. Es wird diskutiert. Zeitung sieht man keine, Buch hin und wieder. Sein Zeug kann man sich selber holen oder mitbringen. Es braucht keinen Ober.
Das Konzept ist wie Bräustüberl. Im Augustiner Salzburg muss man von dort nur das hervorragende Bier beziehen (wer würde auch ein anderes Bier wollen). Kellner gibt’s keinen, Jause kann jeder selber mitbringen. Und diskutiert wird dort, frage nicht!
Zuletzt möchte ich noch eine Träne für die Gösser Bierinsel vergiessen. Am Ende der Prater Hauptallee war so ein Gasthaus in dem der Gast vom Kellner nicht mehr zu unterscheiden ist. Noch heute schleiche ich manchmal um den verwachsenen Zaun, schlüpfe durch das Loch und schau auf das alte Wirtshausschild, durch die blinden Fenster. Am liebsten im Herbst. Das Gebäude ist ja noch da. Und der betriebsame Kiosk daneben mit den Radlern holt dann wieder den Epikuräer auf die Bühne der Melancholie. Man fährt ja nicht umsonst in die Wildnis.