Guckkasten
Freunde, wir sind im Straussjahr. Darum bin ich ins Theatermuseum zur Ausstellung.
Bei der Kassa teilt mir die nette Dame mit, dass sie grad unpässlich ist wegen Ticket, weil der Computer ein update macht (“Hätt nicht gedacht dass das so lange dauert”). Herzig naiv war sie, hatte sie doch erwartet dass das einfach so und glatt abgehen würde. Jetzt das updatetypische Hoffen und Bangen im Gesicht
Damit kein Druck entsteht hock ich mich auf die Sesseln vorm Kaffeeautomaten. Dann bringt sie mir persönlich die gedruckten Karten und meint, dass die Strauss Ausstellung zwar groß, aber ihr Herz für die Puppentheaterausstellung gegenüber schlägt.
Die Ausstellung beginnt mit einem schön vergoldeten Guckkastentheater. Das Herzstück aber ist das runde Theater.
Es ist ein Loch in der Wand, einen Meter Durchmesser. Das Loch hat eine Glasscheibe die sich nach hinten wölbt. Hinter der Scheibe kommen zuerst die Stabpuppen, dann die bemalte Kulisse in Form eines halbdurchsichtigen Vorhangs hinter welchem die “Stäbchenoffiziere” in schwarzer Kleidung agieren.
Wer schon einmal in der Nacht bei aufgedrehtem Licht nach draussen geschaut hat weiss, dass die Fensterscheibe zum Spiegel wird. Diesen “Figurenspiegel” hat sich Herr Teschner um 1920 erdacht. Weil er’s kann, wird der Puppenspieler seine Figuren so zwar spiegelverkehrt aber eben immer von vorne anschaun. Wie das Publikum. Konkav ist der Spiegel deshalb, weil man mehr sieht. Prinzip Verkehrsspiegel.
Die Puppen haben Stäbe an den Händen, das Rückgrat jedoch ist der “Lebensstab”, ein Bambusrohr, somit hohl. Im Inneren sind Fäden die auf halber Höhe rauskommen und Perlen dranhängen haben. Damit können mit geschicktem Spielerhändchen weitere Gliedmassen bewegt werden. Fühler etwa, sogar eine Verbeugung der Figur wird möglich.
Die Vorstellungen sind ohne Worte, nur Musik. Teschner wollte ein Puppentheater für Erwachsene und ihm kam die menschliche Stimme zu “gross” vor. So ähneln seine minutiös choreographierten Stücke eher einer Tanzaufführung.
Der Spieler sieht das Publikum nicht. Wenn einer der Zuschauer einschlafen sollte macht das also nichts. Was aber, wenn das Publikum aus nur einer Person besteht? Liegt dann überhaupt noch ein Objekt vor, welches die Bezeichnung Publikum verdient? Hier sehen wir den Unterschied zwischen Theater und Kino: ich war mal allein in einer Alien (Sigourney Weaver!) Vorführung, das war toll.
Allein im Theater dagegen ist gruselig. Wie soll sich der Spieler die Person im Dunkeln vorstellen? Ist sie bereits eingeschlafen?
Die Wissenschaft als verfeinerte Form des Allerweltsdenkens gibt eine Antwort, auf die keiner gewartet hat: im Extremfall der verfeinerten Vorstellung muss sich der Spieler den Zuschauer als Überlagerung von wach und schlafend vorstellen. Und in ihrer voll ausgebauten Verfeinerung besagt die Vorstellung, dass der wache und der schlafende Anteil miteinander kommunizieren müssen. Die Anteile interferieren, sie bedingen einander. Liegt so überhaupt noch ein Objekt vor, das die Bezeichnung Person verdient? Erst wenn der Spieler mit dem Gast kommuniziert wird ein Objekt daraus das entweder wach ist oder schläft, mithin eine Person.
Den Puppenspielern im Theatermuseum wär das alles Egal, denn sie sind so begeistert vom Fortschritt des runden Figurenspiegels gegenüber dem eckigen Guckkasten, dass sie auch ohne Publikum spielen würden. Diplomarbeiten wurden geschrieben, Kostüme restauriert, die TU hat ein behutsames Update der historischen Elektrik gemacht. Leider hat Covid das Spiel beendet und es kam dann nie wieder hoch.
Freunde, ich ab da einen Freund. Der war bei einer anderen Show. Eine Art Kombination von rund und eckig.
Die Bühne war ein Drehpodium von ca. 2 Meter Durchmesser. Die eine Hälfte war von Spiegeln umrahmt, die andere Hälfte von 8 Guckkästen umsäumt. Auf dem Podium war alle drei Minuten eine andere Darstellerin. Die Vorstellungen waren ohne Worte, nur Musik und sparsame Bewegung im Sitzen.
In den Guckkästen selbst konnte man nicht sitzen, das halbdurchsichtige Fenster war so niedrig angebracht dass man seinen Körper verbeugen musste. Drinnen war jeweils einer oder keiner, im ersteren Fall leuchtet ein rotes Licht am Kasten.
Es ist anzunehmen, dass wenn überhaupt nirgends ein Licht leuchtet, dass dann auch niemand am Podium ist. Aber wie sollte ein normaler Zuschauer das jemals genau erfahren? Sobald zwei Lichter leuchten läuft die Show auf jeden Fall.
Hier ist also wiederum der Einpersonenfall interessant. Und der spielte sich so ab. Mein Freund stand also im Kasten als sich nach einer Viertelstunde die aktuelle Spielerin plötzlich direkt an den Kasten wandte und mit ziemlich angepisstem Gesicht schrie: “ist da überhaupt jemand drinnen?!”.
Jetzt hatte mein Freund ja die Prepaidkarte (gut für eine gute halbe Stunde) im Kastenschlitz. Herzig und naiv wie er war, hatte er nicht kapiert dass ab einer gewissen Zeit (“Hätt nicht gedacht dass das so kurz dauert”) erwartet wird, dass er zum Kasten mit dem Loch in der Wand wechselt, wo dann das Trinkgeld glatt dargereicht wird.
Jedenfalls wollte die Spielerin sich meinen Freund nicht als wach und schlafend inklusive Interferenz vorstellen, wie es die Wissenschaft ja vorgibt. Auch wollte sie nicht, etwa via allerweltlicher Wurschtigkeit, auf ihre Verfeinerung des Denkens verzichten. Und deswegen hat sie das einzig rationale getan: die Kommunikation aufgenommen ins Dunkle hinein.