Falter und TAZ
Ich hab ja höchste Achtung vor Armin Thurnher. Ich teile zum Beispiel seine Begeisterung für die dänische Politik [3]. Über Armin Wolf und Bluesky bin ich auf sowas wie einer Crônica von Thurnher gelandet. Aber nur sowas wie.
Es nennt sich Falter.maily - Der fast tägliche Newsletter aus der FALTER-Redaktion [1].
In seinem Bericht/Blog/Newsletter über den Besuch im Outletcenter schreibt Thurnher: “Der muslimische Anteil war hoch, was ich der Anziehungskraft von Marken wie Gucci und Versace zuschrieb, die den verschleierten Teil unserer Bevölkerung in hohem Maße anzusprechen scheinen, warum, weiß ich auch nicht.”
Und hier muss eine Crônica einsetzen und einen Erklärungsansatz liefern, wie haltbar oder unhaltbar dann auch immer. Armin Thurnher macht sichs hier so leicht wie eine Crônica nicht sein darf.
Ein Blick in die Berliner Schwesterzeitung TAZ hätte genügt. “Beef zwischen Türkinnen” [2] von Ayşe Yıldız. Türkische Türkinnen meinen dass Almancı kızlar – also Türkinnen aus Deutschland – sich zu stark schminken und dadurch „nicht wie echte Türkinnen“ aussehen würden. Der türkischen Diaspora wird vorgeworfen, ihr gehe es „zu gut“ im Ausland. Dass viele Türk:innen in Deutschland unter Rassismus und Klassismus leiden wird dabei nicht beachtet. Die deutschen Türkinnen wiederum machen sich über die türkischen lustig. Dabei verkennen sie wiederum, dass junge Menschen in der Türkei sehr unter der hohen Inflation und Perspektivlosigkeit in einer Autokratie leiden. So die TAZ.
Hier schreibt die TAZ um den heissen Brei herum, bis zur Unverständlichkeit. Meine Interpretation ist: die Almanci, ehemalige türkische Unterschicht, fahren auf Urlaub in die Türkei und zeigen jetzt in der dritten Generation dass sie sich’s leisten können. Die türkische Mittelschicht, statusbewusst wie eh und je, verarmt langsam in der Türkei und wurde von den Almanci überholt. Das verkraften die nicht recht. Weil letztere sind Töchter von Anwälten und deren Ehefrauen. Die anderen sind Töchter von Müttern, Frauen deren Arbeit in Deutschland nicht Vergnügungssteuerpflichtig war.
Im Outletcenter kriegt man das mit dem man zeigen kann dass man’s hat. Dass Thurnher schreibt “weiss ich nicht” nehm ich ihm nicht ab. Sorry.
Und tatsächlich, ein Marsch durch die Kärnterstrasse zeigt viele junge Mädchen die sowas wie eine Maske aus Makeup vorm Gesicht hertragen, gern in Kombination mit Kopftuch. So richtiges Flair strahlt dieser neue Luxus nicht aus.
Auf der Suche nach dem verlorenen Flair bin ich zur Pride im Jahr 2022. Dort auf der Bühne am Rathausplatz proklamierte die Masterin of Ceremony Free Love in Strapsen. Viele Tänzer auf der Bühne aber waren ganz stinknormale, junge, heteronormative Altwiener Zweierpärchentänzer. Jetzt in komischen weil offensichtlich neuprobierten Posen. Marke Sisi turns Cowgirl auf Hauspferd. Die Diskrepanz zwischen Wort und Bild hat mich deplazierte Figur wieder in die Innenstadt getrieben.
Dort begrüssten mich die Energytränkgestählten Ernstgesichter in den Outdoor Cafes am Graben. Rasiermesserscharfe Bärte und Frisur, Schminkuniform. Ich ging wieder zur Pride. Im Jahr 2025 war dann auch kein Aktionismus auf der Bühne mehr. 20-25 kam mir die Pride netterweis ohne Not entgegen.
[1] falter.at/maily
[2] taz.de/Beef zwischen Türkinnen
[3] Die Demokratiemüden, Dänemark interessiert sie nicht