Aus: Nelson Rodrigues, A pátria de chuteiras - Die Heimat des Fussball(schuh)s

Die grobe Übersetzung ins Deutsche ist von mir und Google Translate.

Coices e relinchos triunfais

(Triumphales Wiehern und Gekicke; O Globo, 1/8/1966; Weltmeisterschaft 1966, Finale England-Westdeutschland 4:2, zweifacher Titelverteidiger Brasilien in der Gruppenphase gegen Ungarn und Semifinalist Portugal ausgeschieden. Der Pokal war die Jules Rimet Trophäe, nach dem Erfinder der Weltmeisterschaft. Brasilien durfte nach dem dritten Titel 1970 den Pokal gemäss Statut behalten).

Freunde, der Held dieser Woche ist der heimische Cronista der nach England fuhr. Er ging auf zwei Beinen weg und kam auf allen Vieren zurück. Daraus wird klar dass der Unterentwickelte des Reisens unfähig ist. Ich wiederhole: er kommt nicht über Méier hinaus. Ab Vigário Geral überkommt ihn eine unkontrollierbare Geistesschwäche.

Die obigen Worte sind kein Witz. Ich gebe nur eine einfache Beobachtung wieder. Bring einen Engländer zum Mond. Im lunaren Staub wird er noch englischer als vorher. Er erklärt den Mond zum britischen Empire. Aber die unterentwickelte Welt praktiziert umgekehrten Imperialismus. Geht ins Ausland und anstatt zu erobern unterwirft sie sich und deklariert sich als Kolonie.

Das spielt sich grad vor unseren ungläubigen Augen ab. Der Cronista der nach England fährt (mit wenigen Ausnahmen) will nur das Eine: aus dem brasilianischen Fussball eine miserable Kolonie des englischen Fussballs zu machen. Ich besteh auf dem Problem dieser Reise. Der Brasilianer der nach Vigário Geral fährt, kommt mit einem Akzent zurück, aber ich frage die Pflastersteine von Boca do Mato: “Haben wir von den Engländern etwas gelernt?”

Ja. Wir haben. Zum Beispiel: gelernt mit der Pfeife zu gewinnen. Und wirklich, wir wurden unter öffentlicher Duldung der Schiedsrichter gejagt, den von England manipulierten Schiedsrichtern. Und dieser Kanal 100. Auf seinem Schirm, in Michelangelischer Überdimension wurde unser Massaker gezeigt. Der Zynismus mit dem Pele dort ausgelöscht wurde ist unvergleichlich und spottet jeder Beschreibung. Dieser Zynismus war wahrscheinlich die wichtigste Lektion die wir bei der Weltmeisterschaft gelernt haben.

Der Cronista geht nach England und dort sieht er das Gehabe der Unterentwickelten, in verschiedener Inkarnation. Englischer, Deutscher oder Russischer Fussball ist klar, kategorisch und heulend medioker.

Das ist offensichtlichste Regression. Die Grobheit, die Brutalität, die Illoyalität, oder, mit einem Wort, das tretende Gekicke (coice), war nie modern. Diese Art Fussball sollte auf allen Vieren gespielt werden, mit Muhen und Wiehern. Und sollte auch auf allen Vieren mit dem selben Wiehern und Muhen geschaut werden. Also gut: - und was macht der Cronista? Er will den brasilianischen Spieler, den Besten der Welt, genauso zu einem Kentaur machen. Die eine Hälfte Pferd und die andere auch.

Und ich weiss nicht ob Ihr die dunkelste Seite unserer Crônica schon gesehen habt. Einige Kollegen haben das Weltmeisterteam zusammengestellt. Da ist kein einziger Brasilianer dabei. Der Leser mag fragen: “Nicht mal Pelé?” Nicht mal Pelé. Unser heimischer Cronista ist von diesem hirndebilen Fussballspiel so fasziniert, dass er den göttlichen Kreolen wegkartiert hat. Man wird noch sagen dass Pelé nur gegen Bulgarien gespielt und während Brasilien X Portugal abgemurkst wurde.

Wir gehen von der Dummheit des Trainerstabs über zur Dummheit bestimmter Crônica. Die einen zerstören das Team, die anderen wollen den ganzen brasilianischen Fussball zerstören.

Zum Glück wissen wenigstens die Fans dass das Finale eine Feier der reinen Mittelmässigkeit war.

Ich schliesse mit Folgendem: wenn, nach dem vorgestrigen Match der englische Kapitän beide Hände Richtung weiland Jules Rimet, den Geier Edgard Allan Poes ausstreckte und vor den akkreditierten Journalisten verkündete: “Niemehr wieder, niemehr wieder!” Und tatsächlich die folgenden Meisterschaften auf neutralem Boden gespielt werden, wird England nie mehr wieder die Möglichkeit haben seinen einfallslosen Fussball ohne Kunst und Originalität aufzuoktroyieren. Und der Cronista der auf zwei Beinen ging und auf vieren zurückkam sollte vorsichtig sein. Der selbe Geier Edgard Poes würde sagen dass er nie wieder aufstehen würde, nie wieder, nie wieder.

O escrete é nosso! Clube não é boteco

(Das Team gehört uns! Der Club ist keine Bar, Jornal dos Sports, 6 und 26/7/1958; 1958 gewann Brasilien den ersten WM-Titel)

Im Moment schaut die ganze Welt auf das fabelhafte brasilianische Team. Überall und zu jeder Stunde schallt es in unseren Ohren: “Sie bieten so viel für jenen, so viel für diesen, so viel für denda!” Die grossen Clubs aus Übersee, aus Spanien, Italien, Frankreich und werweisswo wedeln mit ihren Millionen vor unseren Weltmeistern. Mazzola wurde schon gefangen. Es gibt grosszügige Angebote für Pelé, Vavá, Didi, Garrincha, etc. etc. Und wir sehen das Folgende: die Clubs der Champions, welche arlamiert sein sollten, sind überhaupt nicht arlamiert. Im Gegenteil: der zähe, rindische Speichel der Gier hängt von ihren Lippen. Ich sehe keine Club der Willens ist um das Verbleiben von Vava, Pele, Didi, Zito oder Nilton Santos zu kämpfen. Alle safteln und drängen auf das Einheimsen der Millionen deren Transfers. Keiner erinnert sich an eine solch klare und offensichtliche Wahrheit: Weltklasse Champions sollten unverkäuflich sein.

In der Tat, Freunde. Der brasilianische Fussball wird Selbstmord begehen wenn er, der Zahlen wegen, die Desintegration des grössten Teams das sterbliche Augen jemals gesehen haben erlaubt.

Jemand wird einwenden dass es die Sache des Clubs ist. Illusion! Garrincha, Didi oder Vavá sind Preislos. Und was für einzelne Spieler gilt, was gilt dann für das ganze Team? Tja, das Team das den Pokal in ‘58 gehoben hat ist kein gewöhnliches Team. Es ist ein Team das, glaubt man den europäischen Kritikern, die höchsten Ebenen des Fussballs erklommen hat die jemals erreicht wurden. Merke: es sind nicht wir, brasilianische Journalisten, die das geschrieben haben. Nein. Brasilianische Journalisten wollen nicht zugeben, dass Brasilien das grösste Fussballteam der Welt hat.

Wir bewunderten die Ungarn, Engländer, Tschechen, die Russen. Das einzige was wir nicht bewunderten waren die lokalen Genies, die uns, jeden Sonntag, ihre Klasse ins Gesicht gerieben haben.

Es brauchte Deutsche, Französische, Ungarische, Tschechische und Englische Zeitungen die uns zuriefen: “Ihr seid die Besten”. Nun, unsere Presse beginnt zuzugeben, verhalten jedenfalls, dass wir nicht so holzbeinig sind.

Jeder Weltklasse Champion sollte sicher an ein Tischebein gebunden werden, so dass ihn niemand wegzerren kann.

Profifussball braucht Geld, aber nicht nur Geld. Er impliziert mehr. Die freien (gratuitos) Werte die einem Spiel, einer Lederei (pelada), eine spezielle Dimension verleihen. Ein Match stellt mehr als Tritte (pontapés) dar. Zwei Clubs mit all ihrer guten Spielmoral, Emotionen, Lyrik, Geschichte. Im Falle von Vasco: Tradition.

Ein spanischer Verein hätte niemals den Mut, sich in die vascinische Clubtradition einkaufen zu wollen. Wegen dem schlichten und einfachen Problem der Schande.

Jemand könnte behaupten, ein Weltmeister sei ein Spieler wie jeder andere. Das ist eine Lüge. Zum Beispiel der Fall Vavá. Vasco stellt Vavá falsch dar, den Vavá vom letzten Jahr, den Vor-Vavá, den Vavá vor dem Jules-Rimet-Pokal. Und zwischen den beiden Vavás klafft eine tiefe, unüberbrückbare Kluft. Sie kennen sich nicht, konkurrieren nicht miteinander, grüßen sich nicht einmal. Der alte Vavá hatte nicht die Autorität, die er sich in Schweden tapfer und kämpferisch erarbeitet hatte. Seine Teamkollegen ignorierten ihn. Jetzt nicht mehr. Jetzt kann er auf dem Feld schreien, toben, und sogar der Ball jagt ihm hinterher wie einem kriecherischen kleinen Hund. Und Vasco scheint immer noch nicht begriffen zu haben, dass sie zu Hause einen Vavá haben, ja, aber verwandelt durch die Weltmeisterschaft.

Daher der groteske Fehler: Der Verein aus São Januário behandelt Vavá, als wäre er der alte, nicht der aktuelle Vavá. Die Wahrheit ist: Unsere Vereine haben sich noch nicht daran gewöhnt, Weltmeister zu sein. Sie haben ihre Standards noch nicht angepasst. Aber was ich sagen will: Ein Vavá, Orlando oder Bellini gehören zu den unverkäuflichen Werten. Ihre Anwesenheit bei Vasco ist unveräußerlicher Ruhm. Sie könnten ausrufen: „Und die Millionen?“ Ich werde weiterhin argumentieren, dass wir nur für unentgeltliche Werte leben und sterben.

Es gibt auch einen weiteren Aspekt: das Interesse des Spielers. Ich halte die Argumentation bezüglich Vavá ebenfalls für unbegründet. Niemand lebt allein von materiellen Millionen. Was ist mit subjektiven Millionen? Allein die Sprache des Landes ist eine wohlüberlegte Million wert. Man wird Vavá seine Sprache nehmen, und wer wird dafür bezahlen?

Die Witze, die Schimpfwörter in einer anderen Sprache – was für ein Spaß können die schon machen? Jemand wird auf dem Argument von Millionen beharren. Es spielt keine Rolle. Hier ist Vavá glücklich und erfüllt wie ein kleiner Fisch in seinem Aquarium. Andererseits lohnt es sich, diese neue Wahrheit zu akzeptieren: Der Champion ist nicht nur ein Fußballspieler. Er ist ein Held: Kein Verein, keine Nation hat das Recht, seine Helden zu verkaufen. Nicht einmal der Held hat das Recht, sich selbst zu verkaufen. Freunde, an dem Tag, an dem wir aufhören, freie Werte zu schätzen, werden wir auf allen vieren kriechen, wir alle.

A piada imortal

(Unsterblicher Witz, Jornal dos Sports, 27/5/1962; Garrincha, bürgerlich Manoel Francisco dos Santos, auch Mané Garrincha, neben Pelé der beste Fussballer aller Zeiten; Pedro Álvares Cabral, portugiesischer Entdecker Brasiliens)

Freunde, ich habe viel über Brasilien gesprochen. Und viele knurren schon gelangweilt und irritiert: „Entdeckt er Brasilien?“ Genau. Ja, ich entdecke Brasilien. Und plötzlich wird jeder von uns, jeder der siebzig Millionen Brasilianer, zu einem Pedro Álvares Cabral.

Wir haben Brasilien bereits entdeckt, aber nicht ganz. Es gibt noch viel von Brasilien zu entdecken. Wir werden Brasilien nicht auf einen Blick, auf einen flüchtigen und unkonzentrierten Blick, ganz erleben. Dieses Land ist eine fortwährende und schillernde Entdeckung. Und man muss der Nationalmannschaft gerecht werden: Sie ist es, die Brasilien fördert und bekannt macht.

Man könnte zunächst meinen, die Mannschaft hätte Brasilien der Welt vorgestellt. Das auch. Doch das Wichtigste und Erbärmlichste ist die Entdeckung Brasiliens durch die Brasilianer selbst. Ich frage: Was wissen wir über Brasilien? Wenig, wenn nicht gar nichts. Ab 1958 begann Brasilien vor unseren Augen zu erscheinen.

Ich sage noch mehr: Erst die Nationalmannschaft hat den Brasilianern beigebracht, sich selbst zu kennen. Wir hatten falsche Informationen über uns. Ich erinnere mich noch gut an einen Freund, der eine Bereicherung war, ein Nationalsymbol. Ausgelassen wie ein Hollywood-Italiener, ein Italiener aus einem Witz, hatte er eine Vorliebe fürs Schreien und ausladende Gesten. Wenn er einen flüchtigen Bekannten sah, breitete er die Arme aus und warf sich mit dem Überschwang eines Jugendfreundes entgegen. Es war zum Totlachen. Und dieser Horst heulte immer: „Ich bin ein Vierbeiner!“ Und um Zweifel zu vermeiden, fügte er hinzu: „Ich bin ein Vierbeiner mit 28 Beinen!“

Diese heitere und scharfe Selbstkritik übten wir alle. Das Subjekt hier glaubte weder an andere noch an sich selbst. Und wer sich selbst verleugnet, verleugnet zugleich sein eigenes Land. Als wir sagten: „Ich bin ein Tier!“ – sehen wir überall Tiere. In Brasilien gab es keinen Chauvinismus. Absolut nicht. Genau wie mein Freund es sagte, war jeder von uns ein umgekehrter Narziss, der sein eigenes Bild verspottete.

1958 ging die Mannschaft noch ohne Selbstvertrauen an den Start. Doch schon jetzt machte sich darüber in uns ein Zweifel breit. Das Subjekt wusste nicht mehr, ob es ein echtes Tier oder bestenfalls ein Halbtier war. Die Saison 1958 würde die Sache klären. Wir kamen in Schweden an, immer noch ratlos. Wir schlugen Österreich und spielten unentschieden gegen England. Endlich stand das Spiel gegen Russland an.

Ich erzähle Ihnen den genauen Moment, als das wahre Brasilien seine Premiere feierte. Es war nach der brasilianischen Nationalhymne. Die Spieler standen noch zitternd in Reih und Glied. Russland würde eine entscheidende Bewährungsprobe werden. Mehr denn je stand jeder Spieler vor dem Dilemma: „Sollte er ein Tier sein oder nicht?“ Und dann ertönte Garrinchas Stimme über die dicht gedrängte Mannschaft hinweg. Mit triumphierender Offenheit sagte Mané zu Nilton Santos: „Dieser Linienrichter sieht genauso aus wie ‚dein‘ Carlito!“ Dann folgte unkontrollierbares Gelächter. Das war genug. Die Mannschaft war von einem neuen, wilden Potenzial gepackt. Und Garrinchas Witz führte zum Sieg.

Dort begann das wahre Brasilien. Niemand weiß es, aber es war ein Witz, der das große, kolossale, unbesiegbare Russland besiegte. Derselbe Witz gab dem Brasilianer ein Gefühl seiner eigenen Größe. Fast panisch erkannte der Brasilianer, dass er ein Genie war.

O grande sol do escrete

(Die große Sonne des Teams, O Globo, 6/6/1970) Rilke sagte, Ruhm, das, was wir Ruhm nennen, sei die Summe der Missverständnisse über einen Menschen und ein Werk. Und nicht nur Ruhm. Auch Schande kann eine Summe von Missverständnissen sein. Jeder von uns hat schon einmal zu Unrecht geliebt, zu Unrecht gehasst. Ich selbst habe einmal einen Mann verachtet; ich empfand für ihn den größten ethischen Ekel. Ich konnte ihn nicht sehen, ohne dass mein Magengeschwür wie ein Frosch hüpfte. Ohne meine Entsetzen zu verbergen, nannte ich ihn öffentlich eine moralische Leiche.

Ich war damals 17. Und Teenager leben in Horrorvorstellungen. Später wurde mir klar, dass ich falsch lag, völlig falsch. Der Mann, den ich für infam gehalten hatte, war in Wirklichkeit eines dieser edlen Vorbilder, ein falscher moralischer Leichnam. Fast ein Heiliger.

Folgendes wollte ich sagen: – Ich widme diese Crônica den Verwechslungen, die in manchen Fällen zur Statuenweihung und in anderen zu Buhrufen führen. Ich beginne mit Pelé, dem göttlichen Kreolen.

Oft wurde Pelé als Statue dargestellt und oft ausgebuht. Ich erinnere mich an ein Spiel, in dem er schlecht spielte oder, wie man so schön sagt, Kieselsteine warf. Und nach einer gewissen Zeit explodierte die Wut der Menge. Im Fußball ist die Apotheose immer nur einen Millimeter vom Ausbuhen entfernt. Ich weiß nicht, wer sich noch an folgende sehr kuriose Tatsache erinnert. Bei einem Spiel zwischen Brasilien und England hier im ehemaligen Maracanã buhte das ganze Stadion, als Julinhos Name verkündet wurde. Doch dann begann das Spiel. Julinho zeigte eine Reihe perfekter, fehlerloser Spielzüge. Innerhalb von zehn Minuten wurde aus der Demütigung ein Höhepunkt. Und so erlebte Julinho ein atemberaubendes Comeback.

Ich komme zurück zu Pelé. Ich wiederhole, dass er an diesem Nachmittag ein ganz kleiner Pelé war. Und dann begann der Volkszorn. Niemand kam auf die Idee, dass der Superstar nicht gut spielen muss. Es ist das Holzbein selbst, das sich auf dem Spielfeld umbringen muss. Außerdem kann das Genie seine Sehnsüchte nach der Eselei haben. Auf einer anderen Ebene ist Sartre, der große Sartre, hier herumgelaufen und hat Dinge gesagt, für die sich ein Luvizaro schämen würde. Er konnte sie sagen, denn er war Sartre. Zum Beispiel sagte der große Mann: „Der Marxismus ist unübertrefflich.“ Der besagte Luvizaro würde das nicht sagen. Er weiß, dass der Marxismus in fünfzehn Minuten von etwas viel Besserem übertroffen werden könnte. Aber was Luvizaro weiß, kann Sartre ignorieren, denn er ist Sartre.

Ob Derby oder Pellada, Pelé kann und darf tun wie er will, weil er Pelé ist. Doch das Publikum verzeiht Pelé seinen Fehlpass nicht. Wenn ein Gegner seinen Dribbling vereitelt, wird Pelé praktisch gesteinigt wie eine Ehebrecherin in der Bibel. Wir waren insgesamt etwa 150.000 Menschen. Und wir sagten uns gegenseitig, dass Pelé nicht mehr derselbe sei. Einer, der nassforscher war, verkündete: „Pelé ist tot.“

Niemand protestierte. Oder besser gesagt: Es gab einen Protest. Manoel Duque war da, reagierte und rief: „Pelé bleibt der beste Spieler der Welt.“ Und während ein anderer murrte, wiederholte der Duque: „Der beste Spieler der Welt, aller Zeiten.“ Aber wie gesagt, sie haben Pelé die ganzen neunzig Minuten lang ausgebuht. Ich kann sagen, dass das Buhen auch von einer gewissen Müdigkeit, einer gewissen Langeweile gegenüber dem Mythos geprägt war. Die Masse sieht sich gezwungen die Mythen zu zerstören, die sie verbreitet.

Von da an nahmen nicht nur die Zuschauer, sondern auch die „Experten“, die Trainer und die Cronistas Pelés Statue ins Visier. Es war eine freudige Zerstörung. Der Schwarze wurde für alles Übel der Nationalmannschaft verantwortlich gemacht. Ich war auf einer Soiree für hochrangige Leute und hörte dort jemanden fluchen: „Pelé ist für den Fußball gestorben.“

Es verbreitete sich die Nachricht, dass er aus dem Team und von Santos ausgeschlossen würde. Oder besser gesagt: „Nicht von Santos, denn sein Name ist immer noch ein großer.“ Ich stellte mir sogar vor, dass er, gedemütigt und beleidigt, selbst die Nationalmannschaft verlassen würde. Aber mein dicker, tollpatschiger Nachbar sagt: „Nichts geht über den Tag nach dem vorigen.“

Schon in der Qualifikation hatte Pelé seine Pelé-Momente. Doch wir beharrten besessen: „Er ist nicht mehr derselbe! Er ist nicht mehr derselbe!“ Und für alle außer Manoel Duque war er nicht mehr der beste Spieler der Welt. Duque wiederholte ständig: „Selbst wenn er nur halb so gut spielt, wie er kann, ist er immer noch der Beste.“ Bis Brasiliens erstes WM-Spiel gegen Tschechien anstand. Nun galt die Tschechoslowakei laut aller Fußballkritiker als einer der stärksten Anwärter auf den Weltmeistertitel. Während sich Brasilien fünfzehn Tage lang vorbereitete, waren die Tschechen über ganze vier Jahre hinweg auf sich bedacht. In dieser Hinsicht waren sie eine Jules-Rimet-Macht.

Von Anfang an hatte man das Gefühl, dass der König ein falscher Fußballleichnam war – oder, mehr noch, eine kerngesunde, vor Gesundheit strotzende Leiche. Um etwas zurückzugehen, könnte ich über das jüngste Spiel hier im Mário-Filho-Stadion gegen Österreich sprechen, wo Pelé ein wunderbarer Pelé war. Aber was jetzt zählt, ist unser Debüt am Mittwoch. Er war in erster Linie ein Mann ohne Alter, ohne Zeit, mit der Vitalität eines 17-Jährigen. Er verteidigte und griff an, war auf allen Positionen gleichzeitig. Er erfand Spielzüge, die kein anderer Spieler zu irgendeinem Zeitpunkt gemacht hätte.

War es in der ersten Halbzeit? Nein, in der zweiten. Genau, in der zweiten. Immer noch 1:1. Das Spiel wird fortgesetzt, und Pelé ist immer noch in der brasilianischen Platzhälfte. Er fängt den Ball. Und plötzlich bekommt er Besuch vom Geniegeist höchstpersönlich. Er sieht, dass der tschechische Torwart nicht in Position ist, zu weit vorne. Dann tut er, was niemand gedacht hätte. Von dort, wo er war, feuert er einen gewaltigen Heber ab. Das Fernsehen, das niemals fantasieren kann und größte Skrupel gegenüber höchster Wahrhaftigkeit hat, hat uns das Spiel geschildert.

Die Kamera filmt die unerbittliche Kurve des Balls, von hinter dem Tor. Einen Moment lang verstand niemand. Warum passte Pelé nicht? Warum schoss er aus so einer Entfernung? Und der Torwart begriff erst langsam, dass er das Opfer war. Sein Entsetzen hatte etwas Komisches. Er rannte panisch. Immer wieder blieb er stehen und schaute. Da kam der Ball. Es sah aus wie eine Szene aus „Die drei Stooges“. Und um Haaresbreite ging das fantastischste Tor aller Weltmeisterschaften, vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger, daneben. Die Tschechen standen still, die Brasilianer standen still, die Mexikaner standen still – sie sahen zu, wie der Ball die Latte traf. Es war ein Mirakel, ein zynisches und ausgeschämtes obendrein, dass dieses verdiente Tor nicht fiel. Das war wahrlich ein Moment der Fußball-Ewigkeit.

Pelé hatte nie einen so übermütigen Geniegeistesblitz. Aber warum tat er das? Kurz gesagt: Der König rächte sich für unsere Buhrufe. Und nicht nur für sich selbst: auch für die Mannschaft, die ganze Mannschaft. Denn ich weiß sehr wohl, dass die Hyänen der Crônica immer noch gegen die Verteidigung heulen. „Da sind Fehler, da sind Fehler“, knurren die Hyänen (in meinen Crônicas knurren die Hyänen). Wenn ich die Geschichten bestimmter Kollegen lese, denke ich an eine alte Episode. Ich war in Teresópolis, in einem Wohnhaus. Ich ging mit dem Hund die Treppe hinunter. Es war ein klarer, parnassischer Morgen, das Blau eines Sonetts. Ich zitterte im Garten. Und plötzlich fing ein Nachbar aus dem Fenster an zu schreien. Wissen Sie, warum? Weil der Hund gerade den Rasen beschmutzt hatte. Und so dachte dieses Subjekt dass die kleinste Unordnung wichtiger sei, erhabener als der Himmel, der Wald, das Licht, die Brunnen, die Vögel. Genau das machen unsere Cronistas wenn sie über winzige Mängel, jeder so gross wie ein Floh, eine prachtvolle Darstellung vergessen.

Morgen spielen wir gegen England. Ich weiß, England ist groß. Aber wir sind größer, denn wir sind Brasilien, das unermessliche Brasilien, das ewige Brasilien.